Sex-Positive bedeutet nicht, dass du alles mögen musst

Interview: FAQ YOU Team

„Ich dachte, du wärst so selbstbewusst und sicher mit deiner Sexualität“ – ein Satz, der mir leider immer wieder in Situationen begegnet, in denen ich sexuell nicht das will, was mein Gegenüber erwartet.  

Der Typ aus dem Club, der mich zum Analsex überreden wollte; der Kellner aus meiner Lieblingsbar, der fand, ich müsse mich nur genug fallen lassen, damit sich seine Bewegungen für mich gut anfühlen; die Bekannte, die nach der Party ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit einer Frau machen wollte...

 

...sie alle schienen die Überzeugung zu teilen, dass sich sexuelle Offenheit und Grenzen nicht miteinander vereinbaren lassen.

 

Aber ist das so? Je öfter ich mir diesen Satz angehört habe, desto überzeugter bin ich: nein!

Und immer mehr frage ich mich, warum so viele Menschen zu glauben scheinen, dass irgendeine Art von Problem innerhalb ihres Gegenübers vorläge, wenn die andere Person nicht dem entspricht, was sie sich von ihr wünschen. Du willst nicht mit mir schlafen? Dann bist du gehemmt! Du willst dieses und jenes nicht mit mir ausprobieren? Dann bist du langweilig! Du setzt Grenzen? Dann bist du sexuell verschlossen! 

 

Schon seit einer ganzen Weile halte ich mich selbst für eine offene, selbstbewusste Person, die kein Problem damit hat, intime Gedanken, Überzeugungen und Erfahrungen nach außen zu tragen – egal, ob es dabei um Sex oder um andere Bereiche meines Lebens geht. Aber sexuell offen zu sein bemisst sich für mich nicht daran, wie viel ich erzähle und ausprobiere oder mit wie vielen Menschen ich schon geschlafen habe.

 

Es drückt sich für mich in der Reflexion über die Vielfalt von Sex und Sexualität und die Bedeutung von Grenzen aus.

 

Sexuell offen ist, wie ich finde, jede Person, die versteht und respektiert, dass es sexuelle Orientierungen, Fantasien und Bedürfnisse gibt, die sich von den eigenen unterscheiden.

Meiner Meinung nach kann auch erst aus sexueller Offenheit sexuelle Selbstbestimmtheit entstehen. Erst wenn ich verstehe, dass sich Sex für keine zwei Personen genau gleich anfühlt und alle sich mit ganz unterschiedlichen Dingen wohlfühlen, kann ich die Grenzen von mir selbst und anderen anerkennen, diese ziehen und für diese einstehen. Ganz unabhängig von der Erwartung anderer Personen.

Ich halte sexuelle Offenheit auch nicht für etwas, das – zack – einfach plötzlich da ist, wenn man sich genug mit Sexualität und Sex beschäftigt hat, sondern für einen beständig weiterlaufenden Prozess.

 

Aber warum scheint es nun immer noch so schwer zu sein, sexuelles Selbstbewusstsein und „ich bin immer für alles bereit“ zu trennen?

 

Warum erwartet die Gesellschaft gerade von Frauen entweder sexuell offen (und damit quasi grenzenlos) oder komplett zurückhaltend (und damit gleichgesetzt verkrampft) zu sein? 

 

Beide „Kategorien“ sind nicht besonders positiv konnotiert. In der Schule war ich in den Augen mancher Jungs irgendwie „prüde“, weil ich erst recht spät Sex und überhaupt Interesse an Sex hatte. Eine Freundin von mir wurde als „billig“ bezeichnet, weil sie schon früh Lust hatte, verschiedenes mit wechselnden Sexualpartnern auszuprobieren.  


Ich glaube heute, dass Menschen, und vor allem Mädchen und Frauen, häufig als „prüde“ abgewertet werden, wenn ihre sexuellen Grenzen nicht den Erwartungen der Jungs und Männer entsprechen. Leichter, als einfach zu akzeptieren, dass eine Person bestimmte Dinge mit einem selbst oder generell nicht machen möchte, scheint es dann doch zu sein, die Person einfach als Ganzes herabzuwürdigen.

 

In Bezeichnungen wie „billig“ schwingt für mich ein lang gesellschaftlich geprägtes Rollenbild mit, das Frauen abspricht sexuelle Bedürfnisse zu haben und diese unabhängig zu verfolgen. Beide Problematiken drehen sich meiner Meinung nach um die Annahme, dass die Sexualität von Frauen sich nach den Bedürfnissen von Männern richtet. Bestimmte Grenzen oder das Erkunden einer eigenen Sexualität scheint in dieses Bild nicht reinzupassen.  

 

An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass es natürlich nicht nur Männer sind, die solche Bilder vorantreiben. Auch ich habe während der Schulzeit solche Unterteilungen reproduziert und noch viel weniger darüber nachgedacht, wie wenig sie uns allen gerecht werden. Wie bereits am Anfang erwähnt, waren es auch nicht nur Männer, die mir vermittelt haben, ich könne nicht sexuell offen sein und gleichzeitig bestimmte sexuelle Situationen oder Erfahrungen ablehnen.

 

Wichtig ist, wie ich finde, dass wir alle versuchen uns einen Raum zu schaffen, für die Entwicklung eines eigenen Gefühls für Grenzen und uns dabei immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass sexuelle Offenheit nur davon abhängt, inwiefern wir solchen Raum auch anderen Menschen zugestehen. Und meiner Meinung nach sollten wir uns definitiv nicht einreden lassen, dass wir nicht offen genug oder zu verspannt sind oder uns einfach nicht genug fallenlassen, nur weil wir uns in Situationen nicht wohlfühlen.

 
Ich möchte niemandem etwas beweisen müssen. Für mich ist das Nachfühlen eigener Grenzen unglaublich stark, empowernd und selbstwertschätzend und das möchte ich mir von niemandem nehmen lassen. Schon gar nicht von einer Person, die versucht meine eigenen Grenzen gegen mich zu verwenden. 

Folgender Beitrag war ein Statement Piece einer unserer FAQ YOU Autorinnen.