Das erste Mal - tut es weh?

Interview: Valerie Bachert
LF

Lara Flamme

Sobald Sex irgendwie interessant wird, steht es im Raum wie ein rosa-gelb gepunkteter Elefant im Porzellanladen: Das. Erste. Mal. Es bringt einen ganzen Blumenstrauss voller Fragen mit sich. Sexologin Lara Flamme hat sie für uns beantwortet – ehrlich und ohne Umschweife.

Manchmal habe ich das Gefühl, als hätten alle außer mir schon Sex. Kommt mir das nur so vor? Oder bin ich spät dran?

LF     Einmal vorab: Nicht jeder sagt immer die Wahrheit. Manche meinen, es sei cool, bereits Sex gehabt zu haben, und behaupten es, obwohl es nicht stimmt. Gleichzeitig schweigen diejenigen, die noch keinen Sex hatten und sich damit unwohl fühlen. Und so weiß man nie, wer schon hat und wer nicht. Fakt ist aber, dass Männer und Frauen (in Deutschland) beim ersten Mal 17,6 Jahre alt sind. Aber das ist nur ein Durchschnittswert. Manche haben niemals Sex. Oder mit 20 oder später. Eigentlich gilt nur eins: Habe dann Sex, wenn du dich bereit fühlst.

 

Es gibt also keine Altersbeschränkungen?

LF     Doch, rechtliche! Wenn du unter 14 bist, wirst du vom Gesetzgeber noch als Kind angesehen, und die dürfen keinen Sex haben. Andersherum gesprochen: Wenn ihr beide 14 Jahre alt seid, dürft ihr miteinander schlafen. Es gibt allerdings ein paar Einschränkungen. Wenn dein_e Partner_in und du zwischen 14 und 16 seid, dürft ihr, solange beide einverstanden sind, Sex haben. Wenn einer von euch jedoch über 21 Jahre alt ist und der andere jünger, kann das unter Umständen strafbar sein.

 

Wie spreche ich mit meiner Partnerin oder meinem Partner darüber, dass ich Sex haben will?

LF     Auch wenn es nicht immer leicht ist, der beste Weg ist es, offen darüber zu sprechen. Wenn das schwierig ist, könnt ihr erst über andere, ähnliche Dinge reden – zum Beispiel Küssen oder Kuscheln. Oder ihr werdet kreativ. Eine spielerische Herangehensweise beim Küssen ist zum Beispiel, dass eine Person der anderen zeigt, wie sie gern geküsst wird. Der_die Geküsste darf nicht reagieren. Danach tauscht ihr die Rollen, sodass beide einmal gezeigt haben, was sie mögen. Je öfter ihr euch gemeinsam mit solchen Themen beschäftigt, desto geringer wird die Scham und desto leichter wird es euch fallen, darüber zu sprechen. 

 

Und wenn ich noch nicht will, mein_e Partner_in aber schon?

LF      Wenn es geht, ist es natürlich am besten, im Vorfeld darüber zu sprechen. Aber auch währenddessen solltest du darauf achten, ob du dich wohlfühlst mit dem, was gerade passiert. Wenn du etwas nicht tun möchtest oder es dir zu schnell geht, dann sag das ganz offen. Jeder hat seine eigene Geschwindigkeit, und das wird dein_e Partner_in auch verstehen. Im Gespräch kann es für den anderen dann wichtig sein zu verstehen, warum du noch nicht bereit bist. Wenn du das weißt, solltest du das auch ehrlich sagen. So kann dein_e Partner_in besser auf dich eingehen und ist nicht traurig oder enttäuscht.

 

Muss ich vor dem ersten Mal Angst haben?

LF     Das erste Mal ist ein großer Schritt. Da ist es nachvollziehbar, wenn du unsicher bist – alles ist aufregend und wirft tausend Fragen auf. Aber Angst haben brauchst du nicht. Bereite dich vor und überlege dir, wann, unter welchen Umständen und mit welcher Verhütungsmethode du dein erstes Mal haben möchtest. Wenn du dir über all das im Klaren bist, solltest du mit deinem Partner oder deiner Partnerin darüber reden. Dann könnt ihr gemeinsam überlegen, wer sich um was kümmert und wie ihr es angehen wollt. Vieles ist dann bereits geklärt, und die Angst wird kleiner und kleiner.

 

Was passiert beim Sex in meinem Körper?

LF     Meist durchläuft die sexuelle Erregung vier Phasen. In der Erregungsphase wird der Penis steif und die Vagina feucht. In den Genitalien sammelt sich Blut, und sie schwellen an. In der Plateauphase entsteht weitere Schwellung und Durchblutung. In der Orgasmusphase merkst du dann, wie deine Muskeln verkrampfen und sie unkontrolliert zucken. Dann hat die Erregung die höchste Stufe erreicht, und der Orgasmus wird ausgelöst. Beim Mann wird in der Regel zeitgleich Sperma ausgeschüttet, aber auch die Frau kann eine Art Ejakulation erleben. Der Orgasmus selbst fühlt sich für jeden Menschen etwas anders an: zum Beispiel wie ein intensiver Aufbau von Spannungen im Körper, die dann auf einmal losgelöst werden. Oder wie ein plötzliches Freisetzen von Energie und positiven Gefühlen. Nach dem Höhepunkt beschreiben viele Entspannung und ein Gefühl der Erleichterung. In der Rückbildungsphase gehen der Herzschlag und die Blutzirkulation dann auf den normalen Zustand zurück, der Körper regeneriert und entspannt sich.

Tut es weh?

LF     Das erste Mal kann wehtun, das stimmt. Ob und wie stark, ist unterschiedlich und kommt auf das persönliche Schmerzempfinden an, darauf, wie entspannt oder angespanntbeide sind, ob beide es wirklich wollen und so weiter. Aber keine Sorge, selbst wenn es wehtut: In der Regel ist der Schmerz nicht stark und eher kurz.

 

Woher kommen die Schmerzen?

LF     Beim Sex oder wenn du dir etwas einführst, was dicker ist als dein Finger, kann das Hymen reißen, und je nachdem wie groß der Riss ist, tut das weh und blutet. Oft reißt es aber gar nicht, sondern wird nur gedehnt. Häufiger haben Mädchen Schmerzen, weil sich ihr Körper anspannt, vor allem die Beckenbodenmuskulatur. Alles, was versucht einzudringen, tut dann weh. Andersherum kann es bei Jungs bei vaginalem Verkehr und Analverkehr schmerzhaft werden, wenn der Penis beim Eindringen zu wenig Platz hat. Auch eine Vorhautverengung kann Schmerzen bereiten oder wenn die Vorhaut beim Sex zu stark gedehnt oder beansprucht wird.

 

Was kann ich dann tun?

LF     Wenn Penis oder Finger nicht schmerzfrei hineingleiten können, kann Gleitgel helfen, damit es besser flutscht. Auch hilfreich ist es, ruhig in den Bauch zu atmen und sich beim Sex zu bewegen, weil das den Körper entspannt und die Muskeln nicht dauerhaft anspannen können. Manchmal hilft auch wirklich eine kleine Pause. So können alle einmal tief durchatmen.

 

Kann es sein, dass wir körperlich einfach nicht zusammenpassen?

LF     Bei einem sehr großen Penis kann viel mit dem Winkel gespielt und ausprobiert werden, damit es gut passt und nichts wehtut. Das Entscheidende ist aber eigentlich nicht, wie groß oder eng du gebaut bist, sondern dass du dich entspannst. Bei Mädchen kann Angst, Stress oder Unsicherheit zu der bereits angesprochenen Verkrampfung führen. Dann hast du das Gefühl, du bist zu eng, und nichts passt rein. Da hilft nur eins: Versuch dich zu entspannen und nimm den Druck raus, dass es genau jetzt zum Sex kommen muss. Wird das Ganze zu einem Dauerthema, ist es sinnvoll, mit deiner Frauenärztin oder deinem Frauenarzt zu sprechen. Selten kann es sein, dass ein Mädchen unter Vaginismus leidet. Hierbei verkrampft sich die Vagina reflexhaft, und nichts kann eindringen. Das würde dir allerdings auch schon beim Einführen von Tampons auffallen.

Ich habe mich sehr drauf gefreut und bin körperlich auch erregt, kriege aber trotzdem keinen hoch. Wie kommt’s?

LF     Schwierigkeiten mit der Erektion treten oft dann auf, wenn man sich zu viel Sorgen macht. Klar, du willst, dass es für euch beide schön und aufregend wird. Die Angst davor, dass dabei etwas schiefgehen könnte, sorgt für Stress, und so bleibt die Erektion aus, auch wenn du dich freust. Auch hier ist das beste Mittel dagegen: Nimm den Druck raus, sprich mit deiner Partnerin oder deinem Partner offen darüber, und lass dir Zeit. Vielleicht massiert ihr euch noch ein bisschen, küsst aneinander rum, atmet zusammen tief ein und aus – dann kommt die Erektion oft von allein zurück.

 

Wir haben gerade so viel Spaß miteinander. Was kann ich tun, damit ich nicht zu schnell komme?

LF     Üben, üben, üben, und zwar bei der Selbstbefriedigung. Wenn du dir dabei Zeit lässt und zwischendurch Pausen machst, wenn du kurz vorm Kommen bist, verstehst du ziemlich schnell, wie dein Körper tickt. Beim Sex mit der Partnerin oder dem Partner kannst du dann besser einschätzen, wann es zu heiß wird, und rechtzeitig eine kurze Pause einlegen.

 

Das erste Mal war schön, aber einen Orgasmus hatte ich nicht. Und nun?

LF      Betrachte den Orgasmus nicht als Must-have, sondern cooles Add-on. Versuche dich nicht darauf zu fixieren, sondern genieße die ganze Reise. Oft fehlt einfach die Entspannung. Spoiler Alert: Das kommt allmählich, wenn ihr vertrauter miteinander werdet und euch und eure Körper besser kennt. Dann wisst ihr ziemlich genau, was euch zum Kommen bringt. Und ansonsten gilt auch hier: üben, üben, üben. Wenn du dich selber zum Kommen bringen kannst, dann zeig deiner Partnerin oder deinem Partner, welche Knöpfchen gedrückt werden müssen.

Was passiert nach dem Sex?

LF     Das ist für jeden Menschen anders. Manche brauchen nach der intensiven Zweisamkeit etwas Abstand oder sind müde, andere fühlen sich dann total verbunden und wollen die Nähe beibehalten. Beides ist okay und darf gern kommuniziert werden. Im Idealfall trifft man auf jemanden, der genauso tickt wie man selbst. Und wenn nicht, auch nicht schlimm, es gibt immer einen Mittelweg.

 

Verliebe ich mich (noch stärker), wenn ich Sex habe?

LF     Beim Sex werden Bindungshormone ausgeschüttet, die das Gefühl der Verbundenheit zwischen euch stärken. Das passiert schon beim Kuscheln und anderem Körperkontakt, aber besonders beim Sex. In wen wir uns verlieben, hängt jedoch nicht nur von Hormonen, sondern vielen Faktoren ab.

 

Sex allein ist dafür nicht verantwortlich.Anders gefragt: Muss ich verliebt sein, um guten Sex zu haben?

LF     Nein, du musst nicht verliebt sein, um guten Sex zu haben. Wenn (Liebes)gefühle im Spiel sind, kann der Sex aber intensiver oder romantischer sein.

Und wenn er_sie sich doch als Arschloch entpuppt? 

LF     Egal wie vorsichtig man ist: Nicht immer kann man absehen, wer einem das Herz brechen oder zu einem Arschloch mutieren wird. Wenn es schiefgeht und man verletzt wird, tut es natürlich erst mal weh. Und es ist okay, traurig und wütend zu sein. Vielleicht bereut man es auch für eine Weile, aber man muss immer daran denken, dass man es in dem Moment, als es geschah, wollte und es in dem Moment die richtige Entscheidung war. Außerdem ist es eine Erfahrung, die man gemacht hat, und man kann aus jeder Erfahrung etwas lernen. Zum Glück folgen auf das eine erste Mal noch viele weitere erste Male. Mit anderen Jungs und Mädels. Deshalb lass dich von dem ersten blöden Mal nicht unterkriegen.

 

Es gibt noch so viel zu erkunden und zu entdecken! Zum Schluss: Gibt es das überhaupt – das perfekte erste Mal?

LF     „Perfekt“ bedeutet für jeden etwas anderes. Wichtig ist, dass du dir nicht zu viele Sorgen und keinen Stress machst. Manchmal hat man eine Idee davon, was perfekt wäre, und es kommt doch ganz anders.