Letztes Semester habe ich ein Seminar zum Thema Sexualisierung belegt. Eine genaue Vorstellung, was mich darin erwarten würde, hatte ich nicht. Aber direkt beim ersten Arbeitsauftrag geriet ich leicht in Verzweiflung: Wir sollten nämlich alle alltäglichen Begegnungen mit sexualisierten Inhalten abfotografieren.
Seit kurzem bin ich in einer Beziehung und möchte für meinen Freund Duschgel besorgen, damit er nicht immer sein eigenes mitbringen muss. Der Gedanke, dass er auch einfach meines mitbenutzen könnte, kommt mir bei der Aufschrift „Blumenwiese“ nicht. Doch wieso ist das eigentlich so? Ganz unbewusst habe ich ein einfaches Drogerieprodukte einer Schublade zugeordnet und alle Alternativen gänzlich ausgeschlossen.
Doch gesagt getan, ich trete also vor die Tür. Ein Transporter fährt an mir vorbei mit der Aufschrift:
„Wir legen ihre Alte flach und nageln ihre Neue.“
Es geht um die Restauration von Gartenhütten. Entrüstet runzle ich die Stirn, laufe aber weiter – ein Zufall vielleicht? Der Weg zum Drogeriemarkt führt mich durch die Heidelberger Barstraße. Hier sitzt eine leicht bekleidete Schaufensterpuppe auf einer Toilettenschüssel. Werbung für Sanitäranlagen. Mittlerweile frage ich mich dann doch, ob das Zufall sein kann. An meinem eigentlichen Ziel angekommen, verschlägt es mich in die Männerabteilung. Auf ein Regal für Männer kommen drei Regale für die Frauen. Eine logische Konsequenz, da die meisten Produkte beworben werden mit „3 in 1“. Ob ich dadurch auch die Autowaschanlage sparen kann?
Zuerst fallen mir die Farben auf: Alles ist schwarz.
Ein starker Kontrast zu den vorwiegend weiß dominierten Produkten in der Frauenabteilung. Yin und Yang. Verzweifelt raufe ich mir die Haare. Wie soll ich einordnen können was gut riecht, wenn ich nichts über die eigentlichen Inhaltsstoffe erfahre? Da lese ich aus dem Augenwinkel das Wort „Rose“. Erfreut greife ich nach besagtem Duschgel, als ich meinen Fehler erkenne: „Skatebaord Fresh Rose“. Jeder Hauch von Weiblichkeit muss hier direkt kompensiert werden. Genervt rolle ich mit den Augen und mache auf dem Absatz kehrt – eine Auseinandersetzung für einen anderen Tag.
Doch was sich ganz normal in meinen Alltag und auf dem Weg zur Drogeriemarkt einfügt ist ein Problem, das wir nicht auf morgen verschieben können: Die Sexualisierung von Frauen (und immer häufiger auch Männern) in Kultur und Gesellschaft.
Sexualisierung ist ein Phänomen, dem wir alle täglich ausgesetzt sind und dem wir deshalb kaum noch Aufmerksamkeit schenken. Doch es wäre wünschenswert, wenn sich das ändert ...
...nur wie genau soll das funktionieren?
Im Seminar scheitern wir direkt am Definitionsversuch. Klingt wie Sexismus, vielleicht ist das ja was Ähnliches. Irgendwas mit Sex eben. Tatsächlich gibt es sehr viele verschiedene Definitionen von Sexualisierung, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Was sie aber alle gemein haben: Menschen, Objekte und Inhalte werden explizit sexuell dargestellt, obwohl in dem gegebenen Rahmen Sexualität eigentlich gar keine Rolle spielt. Sehr häufig geschieht das von außen, das muss aber nicht immer der Fall sein: Selbstsexualisierung ist noch einmal komplizierter – weshalb wir hier nochmal in einem eigenen Beitrag drauf eingehen werden.
Sexualisierung findet sich in eigentlich allen Bereichen unseres Lebens: In Film & Fernsehen, Musik, Literatur, Kleidung und insbesondere in den sozialen Medien. Am leichtesten erkennt man Sexualisierung meiner Meinung nach an der Frage:
„Und warum ist die Person dafür jetzt nackt?“
Dabei betrifft Sexualisierung natürlich auch Männer – sehr viel häufiger leiden aber Frauen darunter. Wir werden auf unser Aussehen und unsere Sexualität reduziert, wenn es eigentlich um viel mehr gehen sollte.
Negative Konsequenzen durch die Verstärkung traditioneller Geschlechternormen und die damit einhergehende Diskriminierung von Mädchen und Frauen gibt es viele. Und als würde das alles nicht reichen, vermutet man außerdem einen Zusammenhang zwischen Sexualisierung und sexueller / körperlicher Gewalt.
Ich verstehe, warum das Thema mit einer Vorlesung nicht abgehandelt ist. Sexualisierung ist komplex und kann in der Behandlung und Aufarbeitung gewiss ganze Buchbände füllen. Was ich aber nach der kurzen Auseinandersetzung gelernt habe, ist eine andere Sensibilisierung für die Thematik. Vielleicht wird sich nichts von jetzt auf gleich ändern können, vielleicht werden wir auch nicht von heute auf morgen einen Diskurs lostreten, der nicht bloß innerhalb des Vorlesungsraumes stattfindet. Aber Offenheit und die Suche nach einem Dialog sind gute erste Schritte, wenn man etwas bewegen möchte.
Habt ihr schon einmal Erfahrung mit Sexualisierung gemacht? Welche Bereiche interessieren euch besonders und was ist euch wichtig zu betonen? Schreibt uns gerne und slided in die DMs, wir weitere Fragestellungen dazu behandeln sollen.
Dieser Beitrag ist von unserer Gastautorin Isabelle Neumann. Du findest hier bald mehr von ihr.