Wenn zwei Menschen sich begegnen, wissen sie meist schon nach einem einzigen Augenblick, ob der_die andere für sie potenziell in die Tüte kommt oder nicht. Fällt diese erste Einschätzung positiv aus, kann das beginnen, was fast jeder Beziehung vorausgeht: das Flirten. Dabei finden beide ziemlich treffsicher heraus, ob sie sich sexuell anziehend finden. Aber wie funktioniert das? Und wieso kann man sich so schlecht erklären, dass man auf bestimmte Personen regelrechten Hunger entwickelt und auf andere gar nicht? Über die geheimen Superkräfte die uns sagen, auf wen wir Lust haben und auf wen nicht – egal was unser Verstand davon hält.
Wie äußere ich mein Interesse gegenüber einer anderen Person?
Wir treffen eine neue Person. Der erste Eindruck ist gut, und wir starten einen Flirtversuch. Am Anfang sind wir dabei zögerlich, denn wir wissen ja noch nicht genau, wie die Reaktionen ausfallen werden. Aber je länger er oder sie mitspielt und nicht plötzlich auf die Toilette verschwindet und nie wiederkommt, desto eindeutiger können wir in unseren Avancen werden. Dieser Tanz aus Annähern, Abwarten und Beobachten dauert manchmal Minuten, manchmal Monate.
Wenn wir uns um die Gunst einer anderen Person bemühen, tun wir viele Dinge, für die Wissenschaftler_innen Erklärungen gefunden haben. Denn wir machen eigentlich das Gleiche wie die Tiere, egal ob Oktopus, Hirsch oder Löwe: balzen. Auch Menschen geben ihrer Umgebung mit Balzgebärden zu verstehen: Hallo, ich bin hier, ich bin offen für ein Kennenlernen und, wenn’s gut läuft, auch für Sex.
Hat das Gegenüber Interesse, muss es die Unsicherheit aushalten und überwinden, in der es sich fragt: Interpretiere ich das Verhalten richtig, kann ich mich nähern? Und wie soll ich ein Gespräch anfangen? Dieses Zweifeln ist nicht albern, denn Forscher haben herausgefunden, dass mit einem misslungenen Gesprächseinstieg alles Interesse bei der anderen Person direkt flöten gehen kann. Komplimente über das Aussehen kommen demnach genauso schlecht an wie Humor. Also Oberflächlichkeit und Spaß besser und möglichst entspannt und echt bleiben.
Die Balz beschreibt bestimmte Rituale, die Tiere vor der Paarung zeigen.
Operating an Autopilot: Wie flirten ich mit jemandem?
Viele Menschen glauben, sie könnten nicht flirten oder wüssten nicht, wie es geht. Andere sind sehr von ihren Flirt-Skills überzeugt. Beide Menschengruppen liegen falsch. Es gibt zwar ein paar Dinge, die man beachten und beeinflussen kann, aber in Wirklichkeit ist das so: Jeder Flirt ist im Kern ein biologischer Vorgang, den wir wenig beeinflussen können.
Wenn wir uns nicht ganz blöd anstellen, können wir die Aufmerksamkeit von jemandem erregen, aber ob die sexuelle Anziehung groß genug ist, dass später auch was geht, hängt nachweislich von Mechanismen ab, die automatisch und unbewusst ablaufen. Denn der Körper geht auf Autopilot, wenn er sich mit einem potenziellen Liebesobjekt konfrontiert sieht. Er folgt seiner eigenen Checkliste, bei welcher der Verstand wenig zu melden hat, jeder der fünf Sinne dafür umso mehr.
Getting the Feels: Nach dem ersten Flirt, folgt der erste Körperkontakt.
Beim Gespräch sind wir dann auch nah genug, dass unser Geruchssinn die Party joinen kann. Viel Parfüm oder Aftershave verkompliziert die Angelegenheit, weil unser Körper nicht sofort weiß, was Sache ist. Denn der Geruch eines Menschen ist so einzigartig wie sein Fingerabdruck. Und übermittelt uns viele Informationen: Von der Empfängnisbereitschaft bis zu der genetischen Beschaffenheit des Immunsystems der Person petzt uns der Geruchssinn alles. Ein Bruchteil davon kommt vielleicht in unserem Bewusstsein an als „Mensch riecht angenehm“ oder „Mensch riecht unangenehm“.
Je nachdem, wie angemessen es in unserer speziellen Flirtsituation ist, kommt nun vielleicht ein bisschen Tastsinn ins Spiel. Körperkontakt verstärkt nachweislich positive Gefühle – dabei ist so etwas gemeint wie den_die andere_n beim Reden kurz am Arm zu berühren, kein full-on Body- Slam, okay? Ansonsten geht es hier nicht nur um direkten Körperkontakt, sondern um physisches Fühlen im weiteren Sinne – das beeinflusst nämlich das emotionale Fühlen.
Im Klartext: Wenn wir jemanden treffen, nachdem wir gerade aus einem Freefall-Tower kommen und total durch den Wind sind, kann es gut sein, dass wir das unbewusst mit der Person verknüpfen und das Durch-den-Wind-Gefühl mit Verknallt sein verwechseln. In der Wissenschaft nennt man das „Erregungstransfer“, und der passiert offenbar ziemlich oft.
Neben dem visuellen Sinn sind die vier anderen Sinne im Bewusstsein der meisten Menschen so weit in den Hintergrund gerückt, dass sie fast schon in Vergessenheit geraten.
Neben dem visuellen Sinn sind die vier anderen Sinne im Bewusstsein der meisten Menschen so weit in den Hintergrund gerückt, dass sie fast schon in Vergessenheit geraten. Unter anderem deswegen neigen viele dazu, das Aussehen einer Person oder auch von Dingen als übermäßig wichtig zu bewerten. Beim Thema Anziehung macht unser smarter Körper aber sein eigenes Ding.
Online Dating: Funktioniert das wirklich?
Wenn es denn so wichtig ist, den_die andere mit allen Sinnen wahrzunehmen, wieso funktioniert es trotzdem so gut, Partner_innen online zu finden? Antwort: Es funktioniert in Wirklichkeit gar nicht so gut. Ein großer Vorteil von Online-Dating-Plattformen ist, dass sie eine Vorauswahl ermöglichen. Wir stellen ein paar Filter ein und finden leicht raus, wer daten will, nicht so weit weg wohnt, ein nettes Foto hat und so weiter.
Diese Vorsortierung ist gleichzeitig, aber problematisch, weil wir viele Menschen aus „rationalen“ Gründen aussortieren, obwohl wir sie mega heiß fänden, wenn wir sie träfen. Die enorme Auswahl überfordert uns eigentlich und führt dazu, dass wir in Bezug auf Online- Dating eine Art Shoppingmentalität entwickeln – und wie oft bestellen wir Klamotten, und sie passen dann nicht? Eben. Außerdem verbringen wir einer Studie zufolge pro Verabredung mehr als einen vollen Arbeitstag damit, Profile zu sichten und Nachrichten zu schreiben.
Das Gute an Online-Dating ist also: Wir kommen mit Menschen in Kontakt, denen wir im Real Life vielleicht nie begegnet wären. Das Schlechte ist, dass wir vielen Menschen nie begegnen, weil wir sie aussortieren und unsere crazy schlauen Sinne ihr crazy schlaues Ding nicht machen können – und die entscheiden so oder so am Ende, wen wir wollen und wen nicht.
Der erste Kuss: Dating Mission completed? Or not?
Doch zurück zu unserem Flirt: Wenn wir uns also gesehen, gehört, gerochen und vielleicht sogar berührt haben, ist der große Test der erste Kuss. Ob er nach Minuten oder Wochen passiert, spielt dabei keine Rolle.
Er ist die Abschlussprüfung der Sinne. Sie alle kommen beim Küssen wieder zum Einsatz, und über den Geschmackssinn werden noch mal richtig viele Botenstoffe ausgetauscht. Das ist eine Beschönigung für „unbewusste Speichelanalyse“. Es ist allerdings noch nicht gänzlich geklärt, welche Erkenntnisse im Detail ein Mensch – bewusst oder unbewusst – durch einen Kuss gewinnt.
Sicher ist nur, dass viele Flirts hier ihr Ende finden, weil die Beteiligten feststellen, dass es irgendwie doch nicht passt.
Andererseits: Wenn nach dem Kuss weiterhin alles auf Go steht, ist das wie ein Approved-Stempel dafür, dass die Chemie stimmt. Ob man dann für eine halbe Stunde oder ein ganzes Leben beieinanderbleibt, steht natürlich auf einem ganz anderen Blatt.