Dating in der Pandemie

IH

Isabell Hottinger

Nicht nur Freizeit und Beruf, sondern auch Liebe und Sexualität müssen in Zeiten der Pandemie Online ausgelebt werden. Das Internet ist Hürde und Herausforderung zugleich beim Versuch Nähe auf Distanz zu ermöglichen.

Das Zimmer ist abgedunkelt, die Vorhänge zugezogen. Am Laptop brabbelt Netflix ungehört vor sich hin. „Damit es nicht so still ist“, sagt Anna. Dem Hintergrundgeräusch schenkt sie kaum Beachtung. Ihre Aufmerksamkeit gilt einzig und allein ihrem Handy. Auf dem Rücken liegend trägt sie das Smartphone vor ihrem Gesicht. Ihre Finger tippen unruhig auf dem Bildschirm. Hektisch aktualisiert sie die Inbox, doch die erwartete Nachricht bleibt aus. Stattdessen starren ihr weitere Matching-Vorschläge entgegen.

 

Nach nun fast zwei Jahren voller Social Distancing sehnt sich Anna nach der einen Person, bei der die Corona-Politik nachsichtig auf die Vorschriften verzichtet.

 

Damit teilt Anna die Sorgen einer ganzen Genration.

 

Schließlich ist der Anteil der Gen-Z User und Userinnen bei Tinder durch die Corona-Pandemie um fast vierzig Prozent gestiegen. Zerrissen zwischen Individualität und kollektiver Bestätigung der Social Media Profile kämpft die Generation um Selbsterkenntnis in der Informationsflut des Internets.

 

Was will ich genau? Doch richtig weiß das niemand– erst recht nicht beim Online Dating.

 

Auch Anna grinst bei der Frage und streicht verlegen eine Strähne aus ihrem Gesicht. „Es muss ja nicht der Mann für immer sein, aber aktuell wäre es schon schön jemanden zu haben.“

 

Zum Reden, Spazieren und nah sein – denn mit der aktuellen Situation ist niemand gern allein. Das bestätigt auch das Institut für Sexualforschung in Hamburg-Eppendorf: Das Bedürfnis nach Intimität und Körperkontakt ist durch die Pandemie um sagenhafte neunzig Prozent gestiegen.

In ihrer Studie bestätigten über die Hälfte der Befragten, auch mehr sexuelles Verlangen zu Verspüren. Ebenso stieg nicht nur die Experimentierfreude, sondern auch die sexuellen Fantasien der Befragten während der Kontaktbeschränkungen an.

Durch das nun erschwerte Kennenlernen von Sexualpartner und -partnerinnen, ergab sich auch eine offenere Haltung gegenüber Online Dating und der Online Pornografie. Allein Pornhub konnte durch die Pandemie einen Anstieg im Konsum von über elf Prozent verbuchen. Durch das Freistellen des Premium Accounts hat der Contentanbieter zu Pandemiebeginn vielen Konsumenten und Konsumentinnen - und vor allem dem eigenen Marketing - etwas Gutes getan. Tägliche Konsummuster finden sich dabei in allen Altersklassen, beginnend in der Jugendphase.

 

Doch nicht nur Dating und Solo-Sex mussten in die endlosen Weiten des WorldWideWebs weichen. Auch der Prostitution wurde durch die Pandemie eine Grenze gesetzt.

Als körpernahe Dienstleistung wurde das Gewerbe während der Einschränkungen und Maßnahmen vorrübergehend untersagt. Nun sind viele Prostituierte in die Onlinewelt umgezogen. In kostenpflichtige Accounts, in denen sich gegen Bezahlung präsentiert wird. Die Onlinesexualität entwickelt eine steigende Interaktivität durch sexuelle Begegnungen ohne analogen Kontakt.

 

Bei der Frage, ob sich auch Annas Pornografie Konsum verstärkt hat, grinst sie wieder– teils als Eingeständnis auf meine Frage und teils als Reaktion auf die Tinder Nachricht, die so eben nicht nur ihren Bildschirm zum Leuchten bringt. Anna zuckt mit den Schultern. „Also ein bisschen was muss man sich schon noch gönnen dürfen“.